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12.10.2017
Vortrag
„Gott oder Politiker? Wotans doppelte Tragödie in der ‚Walküre‘“
Prof. Dr. Jürgen Schläder, Düsseldorf
Professor für Theaterwissenschaft mit Schwerpunkt Musiktheater
Ludwig-Maximilians-Universität München

Donnerstag, 12. Oktober 2017, 19:30 Uhr
Stadtmuseum Düsseldorf, Ibach-Saal
Berger Allee 2, 40213 Düsseldorf
(Parkmöglichkeiten: Parkhaus Carlsplatz/Tiefgarage Altstadt-Rheinufer)
Eintritt € 10, Mitglieder € 7, Schüler/Studenten frei


Der Vortrag


Richard Wagner sah in seiner Bühnenfigur Wotan die „Summe der Intelligenz der Gegenwart“. Grund genug, in diesem Gott die Zentralfigur der Tetralogie Der Ring des Nibelungen zu erkennen.

Dass die Götter-Figur eigens als „Summe der Intelligenz“ bezeichnet wird, scheint unvereinbar mit der geläufigen Vorstellung von Gott oder von einem Gott. Intelligenz ist keine Beurteilungskategorie für Gott. Er ist allmächtig, und wenn die Menschen Glück haben, klug. Aber Intelligenz als Differenzkriterium zu den Menschen? Wohl kaum. Der Verdacht liegt nahe, Wotan ist möglicherweise kein Gott.
Aber da Wagner von dem Gedanken überzeugt war, gerade politisches Handeln habe in den knapp 2000 Jahren seit der Zeitenwende nur Unglück und Verderben über die Menschheit gebracht, kann er in Wotan das Porträt des intelligenten Politikers seiner Zeit als positive Zentralfigur von vier Opernhandlungen auch nicht im Sinn gehabt haben.

Wotans pragmatische Intelligenz offenbart sich hingegen nicht in politischen Entscheidungen, die auf einem übergreifenden Konzept beruhen würden, sondern in der unübertroffenen Fähigkeit, mit Scharfsinn und Einfallsreichtum aus den größten Miseren noch einen Ausweg, eine Rettung zu finden.
Das gilt für Wotans erstes Desaster, nämlich auf Geheiß seiner Ehefrau seinen Sohn Siegmund sterben zu lassen. Aber Brünnhildes Rettung der schwangeren Sieglinde eröffnet die positive Zukunft: die Geburt des freiesten aller Helden, Siegfried. Zugleich aber ist diese Einsicht Wotans zweites Desaster, weil er Brünnhilde für ihren Ungehorsam substantiell bestrafen muss – mit der Vermenschlichung, die sie aus dem Kreis der göttlichen, d.h. unsterblichen, Wesen ausschließt und zu der sie fortan keinen Zugang mehr haben wird. Doch auch diese Tragödie wendet Wotan zum Positiven, indem er Siegfried als einzigen Helden bestimmt, der Brünnhilde aus ihrem Dauerschlaf erwecken und erlösen wird. In beiden Situationen gibt Brünnhilde den entscheidenden gedanklichen Anstoß zur Bewältigung der Zukunft, begründet in der damals futuristischen Vorstellung vom Alter ego, von einer Doppelnatur Wotans, deren andere Hälfte seine Lieblingstochter Brünnhilde vertritt. Eben diese Doppelnatur, die Fähigkeit, gerade in katastrophalen und aussichtslos scheinenden Augenblicken einen rettenden Ausweg durch sein Alter ego zu ersinnen, macht Wotan zur zentralen Figur der Tetralogie – die an der niederträchtigen Menschheit scheitert, aber deren Welt nicht zu Grunde geht, sondern am Ende der Götterdämmerung neu erfunden werden kann und muss.

Mit einem Blick in die nordischen Literaturquellen, mit Zitaten aus Wagners Libretto, mit Musikbeispielen und einigen Bildern aus älteren und neueren Inszenierungen wird ein stimmiges Figurenporträt von Wotan entstehen. Nirgends im Ring ist es konturierter als in der Walküre.


Prof. Dr. Jürgen Schläder




Prof. Dr. Jürgen Schläder ist Theater- und Musikwissenschaftler. Er studierte Germanistik und Musikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und wurde 1978 in Musikwissenschaft mit der Dissertation „Undine auf dem Musiktheater - Zur Entwicklungsgeschichte der deutschen Spieloper“ promoviert. 1986 habilitierte er sich mit dem Thema „Das Opernduett - Ein Szenentypus des 19. Jahrhunderts und seine Vorgeschichte“. Ab 1987 war er Professor für Theaterwissenschaft mit dem Schwerpunkt Musiktheater an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
©Emil Zander

Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind: Ästhetische Grundlagen und Analyse des zeitgenössischen Regietheaters sowie experimentelle Formen des neuesten Musik- und Tanztheaters. Publikationen zum Regietheater: „OperMachtTheaterBilder“ (2006), „Der Ring, postdramatisch erzählt. Andreas Kriegenburgs Inszenierung von 2012, in: „Von der Welt Anfang und Ende“. Der Ring des Nibelungen in München, hg. v. Birgit Pargner (2013). Zum Gegenwartstheater: „Das Experiment der Grenze. Ästhetische Entwürfe im Neuesten Musiktheater“ (2009).1985-1987 Pauschalist für Musikkritik (Konzert und Oper) bei der Rheinischen Post Düsseldorf. 1987 bis 2008 Moderator der WDR-Rundfunksendung „Klassikforum“ (WDR 3).